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ahnte es bereits, und Fräulein Monica konnte es mir bestätigen: Die letzte
Nacht hatte ich im Kloster Sant'Anna mutterseelenallein verbracht.
Welch ein faszinierender Gedanke, dass der Kreuzgang, der Garten, die
Kirche, die ehemaligen Zellen der Mönche, allesamt einsam und verlassen
gewesen waren. Mein Zimmer (das einzige mit Schlüssel) war
zwar verschlossen gewesen, aber sonst hatte es nur verlassene Räume gegeben,
die dunkle Nacht und Einsamkeit im Umkreis von mehreren Kilometern.
Und draußen hatten nur die absolute Dunkelheit und all die Geräusche der
Stille geherrscht.
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Kellner der Bar della posta wies mich bei meinem letzem morgendlichen
Cappuccino in Pienza darauf hin, dass Pienza die erste Stadt der Welt war, die nach
einem ordentlichen Bebauungsplan errichtet wurde. Er verriet mir auch, nicht
ohne dabei zu schmunzeln, dass Pius II die Paläste für seine Kardinäle mit
Absicht in dieser Stadt bauen ließ, "um sie besser kontrollieren zu
können". Sie wurden sogar durch eine päpstliche Bulle gezwungen, darin zu wohnen.
überhaupt scheint dieser Papst eine außergewöhnliche Persönlichkeit
gewesen zu sein. Er wurde erst im Alter von vierzig Jahren zum Priester
geweiht, denn vorher hatte er mit der "Enthaltsamkeit" Schwierigkeiten
gehabt, erfuhr ich von einer hübschen italienischen Fremdenführerin,
als sie ihre Herde aufklärte.
Weiterfahrt
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fuhr weiter auf der via Cassia in Richtung Süden. Sommerwetter, sonnig, diesig
und heiß, begleitete mich. Man musste im Geist erst den weißen Schleier
aus der Luft wegdenken, um die Schönheit der Landschaft zu entdecken.
Und doch fuhr ich mit Interesse und Begeisterung durch diesen Teil des Landes.
Die Hitze brachte auch eine besondere Stimmung mit sich. Etwas Archaisches
lag in ihr. Die seit Jahrtausenden alljährlich immer wiederkehrende
Trockenheit, die schwere, drückende Decke der Hitze auf Feld und Flur, das
Fehlen von Schatten, das Sichauflösen der Farben, all das vermittelte mir
sehr plastisch alle Mühen der Menschheit und darüber hinaus ein fesselndes
Bild der Endlosigkeit und Unveränderlichkeit der Zeit.
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Landschaft war auch hier im tiefen Süden der Toskana sehr abwechslungsreich,
ließ aber ganz andere Nuancen als die Crete erkennen. Bergig und grün war
nur die Gegend um Sorano, der Ort selbst, wieder ein wahrhaftiges Adlernest,
aus dem Tuffstein entstanden und mit ihm verwachsen. Von welcher Seite ich
ihn auch beobachtete, bot er ein anderes, aufregendes Bild, malerisch und
ursprünglich zugleich. Die Lage auf dem hohen Felsen und die Erosion, so
las ich im Führer, machten der Stadt jedoch schwer zu schaffen. So sei vor
allem der Südhang Soranos mittlerweile Geisterstadt mit teilweise abgestürzten
Ruinen.
erfestigte vulkanische Asche, das ist Tuff, kein hartes
Gestein. Flüsse können sich tief eingraben, Wind und Regen bizarre Formen
erzeugen, Städte können daraus gebaut werden und genauso leicht mit ihm
zerbröckeln. Die ganze Umgebung ist aus dem Tuffstein entstanden, sogar
die Straße ist regelrecht in den Tuffstein, aber von Menschenhand, "geschnitten"
worden. Es lag Regen in der Luft, und ich wollte weiterfahren.
Ich fuhr weiter in Richtung Sovana, der Etruskerstadt. Hier verdichtete
sich die feuchte, drückende Gewitterstimmung noch weiter, sie klebte in
der Luft, man spürte sie auf der Haut, sie verdunkelte den Nachmittag zum
Abend und man erwartete jeden Augenblick den erlösenden Regenguss.
Sovana
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die ersten dicken Tropfen endlich fielen, konnte ich gerade noch rechtzeitig
in die kleine präromanische Kirche S. Maria flüchten, die sich am oberen
Ende des lang gestreckten Hauptplatzes befand.
Hier wurde ich Zeuge einer mich sehr bewegenden Szene. Der in ein grüngoldenes
Messgewand gekleidete Priester war gerade im Begriff, eine Messe zu zelebrieren
für sage und schreibe nur zwei alte Frauen. Eine weitere kam etwas später
noch hinzu. Das Innere der Kirche wirkte sehr schlicht, es fehlte vollständig
der Prunk der späteren Jahrhunderte, ich konnte mich fast eine Urchristengemeinde
in ihr vorstellen.
Die beiden Frauen zündeten eine Kerze an und legten das Evangelienbuch,
auf der richtigen Seite geöffnet, auf den Altar. Es war mucksmäuschenstill.
Ich sah gespannt zu. Alle Gesten waren wie exakt einstudiert, langsam und
würdig ausgeführt. Der Priester begab sich zum Altar, küsste ihn, machte
mit ruhigen Handbewegungen das Kreuzzeichen, von der Stirn zur Brust, von
einer Schulter zur anderen. Er betete, die Frauen beteten mit ihm.
Er hielt eine kurze Predigt, las aus den Evangelien, betete weiter und erntete
wieder das Echo der Frauen, langsam, gleichmäßig. Wie ein hypnotisierendes
Brummen hörte sich dieses gemeinsame Gebet an. Der Geistliche strahlte große
Ruhe aus, seine Stimme war angenehm tief, seine Worte wurden ohne Pathos
ausgesprochen und ohne den Litaneiton, den man in der Kirche so oft hört.
Als er zum Vater Unser kam, wirkte dieses Gebet, dessen Wortlauf ich fast
verlernt hatte, so natürlich auf mich, und so aussagekräftig, dass ich mit
ungewohntem Behagen zuhörte. Und so fiel mir zum ersten Mal auf, wie sehr
dieses Gebet wirklich die sehnlichsten Wünsche der Menschheit ausdrückt:
die Zuwendung eines Vaters, das tägliche Brot, und vor allem – Freud
hätte es nicht besser formulieren können – den Wunsch, dass das Geben-Nehmen-Konto
ausgeglichen werde, damit man sich, anders ausgedrückt, nicht in der
Schuld fühle, und niemand in unserer. Ein Meisterwerk der Psychologie.
Anschließend formulierte er das Mysterium der Umwandlung von Wein und Brot
mit einer solch uberzeugenden, modernen Wortwahl, dass sie auch jeder Nichtgläubige
hätte akzeptieren können. Ruhig goss er den Wein in den Kelch, mischte etwas
Wasser hinzu, trank daraus. Sprach die Dankgebete.
Als die drei Frauen die Heilige Hostie empfingen, bewunderte ich die Kraft
solcher Riten. Mit Ruhe und langsamen, einstudierten Gesten wischte der
Priester mit dem Purificatorium (Reinigungstüchlein) den Kelch aus. Kein
Wort Lateinisch wurde während der Messe gesprochen, nur klare, verständliche
italienische Worte, und zum Schluss hieß es nicht "ite, missa est",
sondern "andate, la messa รจ finita".
Draußen hatte es während der gesamten Zeremonie gedonnert und geregnet,
als ob es eine abgesprochene Choreographie gewesen wäre. Und als das Ende
kam, gaben sich die Frauen die Hand, sich gegenseitig Frieden wünschend.
So ist es nach der Lithurgiereform üblich geworden, aber auch diese Szene
der Verbrüderung verfehlte nicht seine Wirkung auf mich.
ach fast zwei Wochen voller Eindrücke in diesem gesegneten Land endete
dieser letzte Nachmittag meiner Reise in Hektik, mit
langem, unruhigem Umherirren in Richtung Süden.
rst am späten Abend, als es bereits dunkel war, kam ich in Porto Stefano an, wo ich ich in einem teueren, lauten, unattraktiven Hotelzimmer landete.
Der muffige Geruch, der im Raum vorherrschte, unterstrich noch mehr seine
Trostlosigkeit und hätte fast eine Metapher für meinen Gemütszustand
an diesem Abend darstellen können.
ach
dem Essen in einem kleinen Fischrestaurant schlenderte ich, von Wein und
Müdigkeit etwas mürbe gemacht, im Hafen umher. Zu dieser späten Stunde war
weit und breit kein Lebenszeichen mehr zu finden, außer die Anwesenheit
einer Reihe von Anglern, die geduldig in der Dunkelheit am Kai saßen und
auf einen Fang hofften. Die Schwimmer leuchteten im Wasser. Motor- und Segelbote
und Fischerkutter, die auf der pechschwarzen Meeresoberfläche vor sich hin
schaukelten, waren die Kulisse. Ein paar ältere Boote waren für Reparaturen
an Land gezogen worden. Besonders eindrucksvoll sah eines von ihnen mit
seinem stattlichen Bug und seinen haushohen Segelmasten aus, so dass
ich unwillkürlich an ein Piratenschiff denken musste.
Schlagartig weckten dieser Gedanke und die nächtliche Hafenszene mein schlummerndes
Fernweh und meine Reiselust wieder, und unversehens ertappe ich mich dabei,
wieder Reisepläne zu schmieden.