ach
einem anstrengenden (Foto-)Streifzug kreuz und quer durch die Klatschmohnfelder vor Monteriggioni gönnte ich mir oben im kleinen Städtchen ein gutes Essen. Von der sengenden Mittagshitze war im Schatten der großen Sonnenschirme
des Ristorante Il Pozzo nichts mehr zu spüren. Im Gegenteil, es wehte ein
angenehmes kühles Windchen, ich saß im Freien und konnte
direkt auf einen Abschnitt der noch völlig intakt gebliebenen Mauern
blicken. Vierzehn Wachtürme umschließen diese bekannte "Cerchia Tonda",
die Dante in seinem "Inferno" mit einer Reihe von Riesen verglich.
ie
zierliche, temperamentvolle Chefin der Trattoria war ein Meister in professioneller
Freundlichkeit. Sie hatte ein hübsches, feingezeichnetes italienisches Gesicht,
bis auf den Mund, der ein wenig an
ein Vogerl erinnerte (Eingeweihte wissen, was damit gemeint ist) und aus
dem ein ständiges einschmeichelndes Zwitschern kam. Es sollte den Gast vermutlich
mürbe und geschmeidig machen, um ihn von den nicht gerade niedrigen Preisen
abzulenken. "Guardala che bella la pasta, è fatta da noi, sa? (Sehen
Sie wie schön die selbstgemachte Pasta ist)", turtelte sie den
Gästen am Nebentisch zu, während ich die Speisekarte studierte.
Antipasto: Champignons, Parmesan und Fenchel, alles in feinste Scheiben
geschnitten und mit Olivenöl angemacht - eine originelle Kombination. Primo piatto: "Ravioli fatti in casa ripieni di zucca, con burro
e salvia (mit Kürbis gefüllte Ravioli mit Butter und Salbei)"
- fein mit frisch gemahlenem Pfeffer gewürzt. Bei allem Theater, das rund
um das Essen gespielt wurde, es schmeckte wirklich sehr gut: Es war keine
Allerweltsküche, alle Zutaten waren fein abgestimmt, jedes Gericht hatte
eine andere Nuance.
Secondo (ich wagte es nicht, mich auf den ersten Gang zu beschränken): "salsiccette
allo spiedo (am Spieß gegrillte Bratwürstchen)".
"Un dolcino?" So zuckersüß wie ihre Sprache konnte die
Nachspeise kaum sein. Kein Zweifel, eine geschäftstüchtige Frau.
Das Mädchen, das auch bediente - sie konnte höchstens 13 sein - war noch
unverdorben: "Zto impparando (ich lerne noch)" flüsterte
sie schüchtern, als ich sie etwas fragte. Na, was hatte ich gesagt? 69 Euro.
n Italiens Restaurants ist nach wie vor die Summe der Teile nicht gleich
dem Ganzen. Das ist eben ein Vorteil in Deutschland, dass man im Restaurant
vorher schon weiß, was man bezahlen wird. Zwei sympathische junge Leute saßen auf einer Bank, die Fahrräder neben
sich an die Wand gelehnt, und schnitten genießerisch dicke Scheiben von
einer Wurststange ab. Ich beneidete sie ein wenig.
Le Crete
ch
ließ Siena, das ich bereits kannte, links liegen und steuerte direkt auf
die Crete zu, diese raue, karge Landschaft, die südlich der Stadt beginnt.
Die lieblichen Weinhügel und Eichenwälder haben hier einer trockenen Erosionslandschaft
Platz gemacht, deren weite Schafweiden undriesige,
sich über die Wellen des Horizonts erstreckenden Getreidefelder manchmal
wie ein erstarrtes Meer aussehen. Eine Landschaft, die in keinem Bildband
fehlen darf. Und ich suchte nach diesen Bildern, die allerdings nur dann
entstehen können, wenn ihnen ein besonderes Licht den unverkennbaren Charakter
verleiht - und fand sie nicht. Nicht unter diesem weichen, milchigen Himmel.
Ich erahnte sie nur, wenn ich in kleinen Nebenstraßen
fuhr oder wenn ich die von einzelnen Häusern oder Zypressenreihen gesetzten
Akzente wahrnahm.
Monte Oliveto Maggiore
s
war bereits fortgeschrittener Nachmittag, als ich die Abbazia di Monte Oliveto
Maggiore erreichte: "Besucher! Die Mönche heißen dich willkommen.
Der heilige Ort lädt zum Stillsein und zum Gebet ein".
Der Kreuzgang (Chiostro Grande) ist durch einen beeindruckenden Zyklus von 36 Fresken von Luca Signorelli und Giovanni Antonio Bazzi, genannt Sodoma, dominiert. Während die letzten Touristen
vorbeieilten und laut über alles Mögliche, nur nicht über den Heiligen Benedikt (San Benedetto da Norcia),
dessen Leben auf den Fresken dargestellt wird, plapperten, blickte ich fasziniert
auf die Bilder und ihre Geschichten.
"Wie der Teufel das Glöckchen zerschlägt."
Benedikt hatte sich aus einer von Kriegen erschütterten Welt in eine Höhle
zurückgezogen. Dort wurde er von einem Mönch versorgt. Auf dem Bild lässt
der Einsiedler Romanus das Brot für Benedikt, mit einem Glöckchen versehen,
an einem Seil in die Höhle herab. Als der Teufel, voller Neid auf die Liebe
des Einen und die Erquickung des Anderen, sah, wie das das Brot wieder herabgelassen
wurden, warf er einen Stein und zerschlug das Glöckchen.
"Wie der heilige Benedikt der Versuchung
widersteht."
Der Teufel führt Benedikt mit einer Vision weiblicher Reize in Versuchung.
Um der Versuchung zu entgehen, wälzt er sich nackt im Dornengestrüpp.
"Wie ein Mönch das Kloster ohne Benedikts
Erlaubnis verlässt, stirbt und wegen des Frevels nicht begraben werden kann."
Benedikt lässt den Leib des Herrn auf ihn legen, und der arme Bruder kann
in die Erde.
"Benedikt lässt Wasser aus einem Berggipfel fließen"
Siehe auch die Fresken auf Wikipedia [].
elche kaum vorstellbaren Unterschiede liegen zwischen der Gedankenwelt
der heutigen westlichen Menschen und jener der Mönche solch einer vergangenen
Welt. Wie wenig von dem, was wir heute zu wissen glauben, war diesen Eremiten
bekannt, wie fest war in ihren Köpfen der Gedanke an Geister, Teufeln und
Gott verankert, wie absolut diktatorisch war ihre Unfähigkeit, an ihrem
Weltbild zu zweifeln oder an Alternativen zu denken. Was werden zukünftige
Generationen an unserer Gedankenwelt für unvorstellbar halten? Dass wir
uns von tausenden flackernden und allgegenwärtigen Bildern den Sinn für
das Wesentliche haben nehmen lassen? Dass wir dem Götzen "materiellen
Wohlstand" so grenzenlos verfallen sind, dass wir seine Folgen so absolut
verdrängen? Wer weiß, vielleicht wird es etwas ganz anderes sein, etwas
wofür wir heute noch völlig blind sind.
ls
ich das Kloster in besinnlicher, ausgeglichener Stimmung verließ, hatte
die "Verwandlungskünstlerin Toscana" noch etwas parat für mich.
Nur einen Steinwurf vom Kloster entfernt zeigte sie mir - mit dem weichen
Nachmittagslicht als Komplizen, um mich noch mehr zu beeindrucken - die so genannten
calanchi, jene abstrakten Formen der Landschaft, deren steil abfallende,
spärlich bewachsene Erdfurchen aus Lehm und Sand eine Erosionsarchitektur
mit scharfen, zu Tal stürzenden Graten bilden. Sie erzählen von lang anhaltenden
Winterregen, von Wind, Trockenheit und heißen Sommern.