Sonntag, 2. Juni
Monteriggioni
ach einem anstrengenden (Foto-)Streifzug kreuz und quer durch die Klatschmohnfelder vor Monteriggioni gönnte ich mir oben im kleinen Städtchen ein gutes Essen. Von der sengenden Mittagshitze war im Schatten der großen Sonnenschirme des Ristorante Il Pozzo nichts mehr zu spüren. Im Gegenteil, es wehte ein an­ge­neh­mes kühles Wind­chen, ich saß im Freien und konnte direkt auf einen Abschnitt der noch völlig intakt geblie­benen Mauern blicken. Vierzehn Wachtürme umschlie­ßen diese bekannte "Cerchia Tonda", die Dante in seinem "Inferno" mit einer Reihe von Riesen verglich.
ie zierliche, temperamentvolle Chefin der Trattoria war ein Meister in professioneller Freundlichkeit. Sie hatte ein hübsches, fein­ge­zeich­ne­tes italienisches Gesicht, bis auf den Mund, der ein wenig an ein Vogerl erinnerte (Eingeweihte wissen, was damit gemeint ist) und aus dem ein ständiges einschmeichelndes Zwitschern kam. Es sollte den Gast ver­mut­lich mürbe und geschmeidig machen, um ihn von den nicht gerade nie­dri­gen Preisen abzulenken. "Guardala che bella la pasta, è fatta da noi, sa? (Sehen Sie wie schön die selbstgemachte Pasta ist)", turtelte sie den Gästen am Nebentisch zu, während ich die Speisekarte studierte.
Antipasto: Champignons, Parmesan und Fenchel, alles in feinste Scheiben geschnitten und mit Olivenöl angemacht - eine originelle Kombination.
Primo piatto: "Ravioli fatti in casa ripieni di zucca, con burro e salvia (mit Kürbis gefüllte Ravioli mit Butter und Salbei)" - fein mit frisch gemahlenem Pfeffer gewürzt. Bei allem Theater, das rund um das Essen gespielt wurde, es schmeckte wirklich sehr gut: Es war keine Allerweltsküche, alle Zutaten waren fein abgestimmt, jedes Gericht hatte eine andere Nuance.
Secondo (ich wagte es nicht, mich auf den ersten Gang zu beschränken): "salsiccette allo spiedo (am Spieß gegrillte Bratwürstchen)".
"Un dolcino?" So zuckersüß wie ihre Sprache konnte die Nachspeise kaum sein. Kein Zweifel, eine geschäftstüchtige Frau. Das Mädchen, das auch bediente - sie konnte höchstens 13 sein - war noch unverdorben: "Zto impparando (ich lerne noch)" flüsterte sie schüch­tern, als ich sie etwas fragte. Na, was hatte ich gesagt? 69 Euro.
Booking.com
n Italiens Restaurants ist nach wie vor die Summe der Teile nicht gleich dem Ganzen. Das ist eben ein Vorteil in Deutschland, dass man im Restaurant vorher schon weiß, was man bezahlen wird. Zwei sym­pa­thi­sche junge Leute saßen auf einer Bank, die Fahrräder neben sich an die Wand gelehnt, und schnitten genießerisch dicke Scheiben von einer Wurststange ab. Ich beneidete sie ein wenig.
Le Crete
ch ließ Siena, das ich bereits kannte, links liegen und steuerte direkt auf die Crete zu, diese raue, karge Landschaft, die südlich der Stadt beginnt. Die lieblichen Weinhügel und Eichenwälder haben hier einer trockenen Erosionslandschaft Platz gemacht, deren weite Schafweiden undriesige, sich über die Wellen des Horizonts erstreckenden Getrei­defelder manchmal wie ein er­starrtes Meer aussehen. Eine Landschaft, die in keinem Bildband fehlen darf. Und ich suchte nach diesen Bildern, die allerdings nur dann entstehen können, wenn ihnen ein besonderes Licht den unverkennbaren Charakter verleiht - und fand sie nicht. Nicht unter diesem weichen, milchigen Himmel. Ich erahnte sie nur, wenn ich in kleinen Nebenstraßen fuhr oder wenn ich die von einzelnen Häusern oder Zypressenreihen gesetzten Akzente wahrnahm.
Monte Oliveto Maggiore
s war bereits fortgeschrittener Nachmittag, als ich die Abbazia di Monte Oliveto Maggiore erreichte: "Besucher! Die Mönche hei­ßen dich willkommen. Der heilige Ort lädt zum Stillsein und zum Gebet ein".
Der Kreuzgang (Chiostro Grande) ist durch einen beeindruckenden Zyklus von 36 Fresken von Luca Signorelli und Giovanni Antonio Bazzi, genannt Sodoma, dominiert. Während die letzten Touristen vorbeieilten und laut über alles Mögliche, nur nicht über den Heiligen Benedikt (San Benedetto da Norcia), dessen Leben auf den Fresken dargestellt wird, plapperten, blickte ich fasziniert auf die Bilder und ihre Geschichten.
"Wie der Teufel das Glöckchen zerschlägt."
Benedikt hatte sich aus einer von Kriegen erschütterten Welt in eine Höhle zurückgezogen. Dort wurde er von einem Mönch versorgt. Auf dem Bild lässt der Einsiedler Romanus das Brot für Benedikt, mit einem Glöckchen versehen, an einem Seil in die Höhle herab. Als der Teufel, voller Neid auf die Liebe des Einen und die Erquickung des Anderen, sah, wie das das Brot wieder herabgelassen wurden, warf er einen Stein und zerschlug das Glöckchen.
"Wie der heilige Benedikt der Versuchung widersteht."
Der Teufel führt Benedikt mit einer Vision weiblicher Reize in Versuchung. Um der Versuchung zu entgehen, wälzt er sich nackt im Dornen­ge­strüpp.
"Wie ein Mönch das Kloster ohne Benedikts Erlaubnis verlässt, stirbt und wegen des Frevels nicht begraben werden kann."
Benedikt lässt den Leib des Herrn auf ihn legen, und der arme Bruder kann in die Erde.
"Benedikt lässt Wasser aus einem Berggipfel fließen"
Siehe auch die Fresken auf Wikipedia [].
elche kaum vorstellbaren Unterschiede liegen zwischen der Ge­dan­kenwelt der heutigen westlichen Menschen und jener der Mönche solch einer vergangenen Welt. Wie wenig von dem, was wir heute zu wissen glauben, war diesen Eremiten bekannt, wie fest war in ihren Köpfen der Gedanke an Geister, Teufeln und Gott verankert, wie absolut diktatorisch war ihre Unfähigkeit, an ihrem Weltbild zu zweifeln oder an Alternativen zu denken. Was werden zukünftige Generationen an un­se­rer Gedankenwelt für unvorstellbar halten? Dass wir uns von tausenden flackernden und allgegenwärtigen Bildern den Sinn für das Wesentliche haben nehmen lassen? Dass wir dem Götzen "materiellen Wohlstand" so grenzenlos verfallen sind, dass wir seine Folgen so absolut verdrängen? Wer weiß, vielleicht wird es etwas ganz anderes sein, etwas wofür wir heute noch völlig blind sind.
ls ich das Kloster in besinnlicher, ausgeglichener Stimmung verließ, hatte die "Verwandlungskünstlerin Toscana" noch etwas parat für mich. Nur einen Steinwurf vom Kloster entfernt zeigte sie mir - mit dem weichen Nachmittagslicht als Komplizen, um mich noch mehr zu beein­drucken - die so genannten calanchi, jene abstrakten Formen der Land­schaft, deren steil abfallende, spärlich be­wachsene Erdfurchen aus Lehm und Sand eine Erosionsarchitektur mit scharfen, zu Tal stürzenden Graten bilden. Sie erzählen von lang an­hal­tenden Winterregen, von Wind, Trockenheit und heißen Sommern.