Film/ Medien

Das ganze Leben liegt vor dir (2008)


Paolo Virzì (1964 in Livorno geboren) ist ein italienischer Dreh­buchautor und Regisseur. Be­reits mit seinem ersten Film „La bella vita“ gewann er die Preise „Ciak d'Oro“, „Nastro d'ar­gento“ und den „David di Dona­tello„.
Tutta la vita davantiFür seinen Film „Tutta la vita da­vanti“ inspirierte sich Paolo Urzì am Buch „Il mondo deve sapere“ („Die Welt muss wissen“) der Autorin Michela Murgia. Der Film ist eine bit­ter-süße Komödie über die pre­kä­ren Arbeitsverhältnisse im heutigen Ita­lien – am Bei­spiel eines Call-Centers. Der Film ist leichte Un­ter­hal­tung, Gesell­schafts­kri­tik und Kunst­werk zugleich. Es ist eine Art Film, die nur in Italien entstehen konnte, ein Film, der an die Tradition der "Commedia all'italiana" anknüpft und diese in die Neuzeit transferiert.
Die junge Sizilianerin Marta (Isabella Ragonese) hat ihr Philosophiestudium mit Auszeichnung ab­ge­schlossen und macht sich auf die Suche nach einer Arbeit. Auf alle ihre Bewerbungen bekommt sie aber eine Absage, was sie in ihrem Frust dazu veranlasst, ihre schwerkranke Mutter in Palermo auf­zu­su­chen. Ihre Mutter, die bis zu ihrer Krankheit Lehrerin war, rät ihr, sich eben­falls für den Lehrdienst zu be­wer­ben, und gibt ihr den opti­mis­ti­schen Satz auf den Weg: „Du hast das ganze Leben noch vor dir."

Zurück in Rom bewirbt sich Marta also bei der Schulbehörde. Während sie auf die Ergebnisse des Wettbewerbs wartet, bemüht sie sich um einen Teilzeitjob, muss aber bald feststellen, dass sich auch das nicht als leicht erweist. Mit Mü­he und Not und eher durch Zufall findet sie schließlich einen Job als Babysitter bei der jungen Sonia (Micaela Ra­maz­zotti), die in einem Callcenter arbeitet und mit ihrer kleinen Tochter nicht zurecht kommt. Die beiden jungen Frauen freunden sich an. Als eines Tages ein Job im Callcenter Multiple Italia, wo Sonia arbeitet, frei wird, zögert Marta nicht lange.
Die Arbeit, die sie dort erwartet, konfrontiert sie aber mit einer Welt, die ihr bis zu diesem Zeitpunkt völlig unbekannt war. Bei der Telemarketing-Firma, die einen teuren und unnützen Wasseraufbereiter vermarktet, geht es ame­ri­kanischer zu als in den USA selbst. Die Men­schen werden völlig gleich­ge­schal­tet und sie müssen sich passgenau in die Phi­losophie des Unternehmens ein­fügen. Es werden frühmorgens gemeinsam Moti­va­tions­lieder ge­sun­gen, und die Kollegen unterstehen einen ständigen Druck, die ihnen gesetzten Ver­kaufs­zah­len zu erreichen. Wer diese nicht schafft, wird fristlos vor die Tür gesetzt.
Das ganze Leben liegt vor dir (Trailer)
Die im telefonischen Service angestellten Mitarbeiter der Firma sollen mit potentiellen Kunden Termine ausmachen, die anschließend von den Ver­tre­tern wahrgenommen werden. Diese müssen dem Kunden das Gerät, das angeblich alles, aber in Wahrheit gar nichts kann, vorführen und verkaufen.
Martas Kolleginnen sind in der Hauptsache sehr ein­fache Mädchen, die in ihrer Freizeit ausschließlich von Reality Shows im Fernsehen und – vor allem – von ihren männlichen Kollegen sprechen.

Der Firmenboss Claudio (Massimo Ghini), wird von den Mädchen und den Ver­tretern gefürchtet und gleichzeitig wie ein Popstar verehrt. Ab und zu ver­sucht der ziemlich un­be­hol­fe­ne Ge­werk­schafts­ak­ti­vist Giorgio Conforti (Valerio Mast­andrea) die Belegschaft von Multiple Italia über ihre Rechte als Ange­stell­te aufzuklären. Er hat damit aber wenig Erfolg, denn Martas Chefin Daniela (Sa­bri­na Fe­ril­li) versteht es sehr gut, die Mädchen gegen einander aus­zu­spie­len. Daniela lädt einmal auch Marta zu sich nach Hause ein, um sie zu be­loh­nen und um sie ganz auf ihre Seite zu ziehen, denn auch sie muss um ihren Job fürchten.


Auch der Konzernchef Claudio will Marta für seine privaten Zwecke ein­span­nen und offenbart ihr dabei ohne es zu wollen, seine ganzen persönlichen Probleme ....

Es soll an dieser Stelle weder die ganze Handlung, noch den Ausgang des Filmes aufgeführt werden. „Das ganze Leben liegt vor dir“ will die Probleme einer ganzen Generaton beschreiben. Er erzählt von den jungen Menschen, die studieren und – be­son­ders im Fall der Geisteswissenschaften – auf die realen Anforderungen der Arbeitswelt überhaupt nicht vorbereitet sind, aber auch von der Un­si­cher­heit, die die schlechter Ausgebildeten ein Leben lang begleitet und sie zu einem andauernden Überlebenskampf zwingt.

Paolo Virzis Film ist eine Satire auf das heutige „globalisierte" Italien, ein Land, in dem Geist und Gefühl kaum noch eine Rolle zu spielen scheinen, nur noch der schnelle Profit. Der Film ist eine fröhlich-böse, manchmal sehr schril­le, aber immer leidenschaftliche Persiflage der Korrumpierbarkeit der Menschen, der Verdummung und Trivialisierung der italienischen Gesellschaft und der zu­neh­mende Prekarisierung junger Menschen. Er ist aber zugleich ein Plä­doyer für Menschlichkeit, inmitten einer nur noch an Effizienz und Profit ausgerichteten Ar­beits­welt.
 
 
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