Wissenswertes

Stabilimenti balneari (Strandbäder)

Als Kind in Genua verbrachte ich viele Sommertage ai „bagni„. Das heißt mehr als „am Strand“. Jeder hatte seine Lieblingsbadeanstalt, den „stabi­limento„. Unsere Clique bevorzugte die „Bagni Canova“ im Stadtteil Sturla, oder die daneben liegen­den „Bagni Catainin“, die es bis heute noch unter diesem Namen gibt.
Rund 3500 Kilometer Strände hat Italien, ein Traum, könnte man meinen, für Sonnenanbeter aus ganz Europa. Leider hat das ganze einen Haken: Fast ein Drittel der italienischen Strände ist in Besitz von Strandbädern, den so­genann­ten „stabilimenti (balneari)“, kurz „bagni“, für die private Be­trei­ber eine Konzession haben.
Von Mai bis September auf den Strand zu gehen und sein Handtuch ausbrei­ten zu können, ohne dass man eine Gebühr an die Inhaber dieser Badeanstalten zahlen muss, bleibt deshalb ein Traum! Man muss die Franzosen be­nei­den, die herrlich eingerichtete freie Strände haben. Man fragt sich, warum nicht jeder­mann auf jeden Strand darf? So wie es bei­spielsweise in Bayern für die See­ufer geregelt ist?
Dicht aneinander gereiht beanspruchen diese sta­bilimenti – das sind kostenpflichtige Badeanstalten wie bei uns auch, die ei­nen Eingang mit einer Kasse haben, an der man für den Eintritt zahlt – fast die gesamten Strände der bekannten Urlaubsorte. Meistens sind diese An­stal­ten sehr dicht mit (ebenso kostenpflichtigen) Schir­men und Lie­ge­stühlen an­ge­legt. Die sta­bi­limen­ti sind ein­gezäunt (also von den even­tuel­len freien Strän­den getrennt) und nur über den Eingang betretbar.
Umkleidekabinen eines Strandbads in Sorrento
Nur der zahlende Badegast hat das Recht, die zum "stabilimento" gehörenden Einrichtungen (Bar, Res­taurant, Sonnenschirme, Liegestühle, Umklei­de­ka­bi­nen, Duschen, ggf. Schwimmbad oder Ru­der­boo­te etc.) zu benutzen. Die Ba­de- (bzw. Strandmeister), die sogenannten "bagnini", sind befugt, Gäste, die nicht den Eintritt bezahlt haben, dies alles zu ver­wehren, bzw. sie vom Bad zu verweisen.

Im Namen der „Verringerung der Bürokratie“ wollte di italienische Regierung von Silvio Berlusconi im Mai 2011 den Päch­tern der „Stabilimenti“ ein Nut­zungs­recht für 90 Jahre ausstellen. Womit die Ba­de­an­stalten de facto zu ei­nem Lehen der aktuellen Päch­ter geworden wären. Das scheiterte an der EU-Kom­mis­sion in Brüssel, denn so eine Rege­lung widerspricht den EU-Re­geln für einen fairen Wettbewerb. Die Kon­zes­sionen müssten für kürzere Zeiträume und durch öffentliche Aus­schrei­bun­gen ver­ge­ben werden. Aufgrund dieses Widerstandes musste die Regierung die Ge­set­zes­vor­lage schließlich überarbeiten und die Frist auf 20 Jahre verkürzen.
Gewitterwolken über Strandbad in Riccione
Das bedeutet, dass künftig im Sinne eines freien Wett­be­werbs bei Dienstleis­tun­gen innerhalb Europas die Vergabe für die "sta­bilimenti bal­neari“ euro­pa­weit ausgeschrieben wer­den müssen (Bol­ken­stein-Richtlinien, die 2006 erlassen wurden). Ab dem Jahr 2016 müssen dem­nach alle Lizenzen für Strandbe­trei­ber versteigert werden. Das wäre mö­gli­cher­wei­se das Aus für viele Fami­lien­be­triebe. Große Unter­nehmen wie Ferra­gamo, Benetton und Marcegaglia würden künftig die Strand­bäder betreiben.

Die Kon­zes­sio­nen für die Nut­zung der ita­lie­ni­schen Strän­de dür­fen nicht au­to­ma­tisch ver­län­gert wer­den, son­dern müs­sen in einem neu­tra­len und trans­pa­ren­ten Aus­wahl­ver­fah­ren ver­ge­ben wer­den. Dies hat der Eu­ro­päi­sche Ge­richts­hof ent­schie­den. Brüssel ist der Meinung, dass das italienische System der Konzessionen gegen die Dienstleistungsrichtlinie verstößt - und hat Italien bereits in der Vergangenheit davor gewarnt und sogar mit einem Vertragsverletzungsverfahren gedroht.

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Am 3. August 2012 gab es für ein paar Stunden keine Liegestühle und keine Sonnen­schirme auf Italiens Stränden und die Bademeister gingen ihren Auf­ga­ben nicht nach. Ein Groß­teil der etwa 30.000 Strandbäder-Betreiber (und deren Angestellte) streikte – landesweit. Der Protest sollte Druck auf die Re­gie­rung in Rom ausüben, die ihrer Ansicht nach zu wenig Druck auf Brüssel für eine Re­vi­sion der Bol­ken­stein-Richtlinien ausübe.

 ZUSAMMENGEFASST: Es geht um 30.000 stabilimenti balneari, wie die Bezahlstrände in Italien heißen. In der Badesaison beschäftigen die stabilimenti etwa 300.000 Mitarbeiter und verbuchen einen jährlichen Umsatz von rund 15 Milliarden Euro. Doch in den Augen der EU sind diese Bezahlstrände illegal: Weil sie knappen öffentlichen Grund belegen, fallen sie unter die Bolkestein-Direktive. Die staatlichen Konzessionen müssten zur Belebung der Konkurrenz regelmäßig neu ausgeschrieben werden. Das werden sie aber nicht.

Bisher haben sich alle italienischen Regierungen, egal welcher Couleur, standhaft geweigert, den Forderungen aus Brüssel nachzukommen.

Auch die Meisten der Badegäste würden es nur ungern sehen, wenn der Betreiber ihres stabilimento seine Konzession zum Beispiel an einen großen iternationalen Reise-Konzernen verlieren würdet. Auch Giorgia Meloni hat sich immer als Schutzpatronin der „stabilimenti balneari“ hervorgetan.
Im November 2023 hat die EU-Kommission wegen der Strandbad-Konzessionen einen scharfen Brief nach Rom geschickt und die Eröffnung eines Ver­trags­verletzungsverfahrens gegen Italien eingeleitet.
Italiener sind aber erfinderisch: Wie durch ein Wunder kam eine wundersame Streckung der Strände ins Spiel: Falls die italienische Regierung der EU beweisen könnte, dass es sich bei den Stränden gar nicht um ein „knappes Gut“ handele, dann würden die „stabilimenti balneari“ nicht von der Bolkestein-Direktive erfasst. So ließ die italienische die Regierung seine Küsten neu vermessen. Und laut den neuen Berechnungen wurden – oh Wunder! – aus 8.000 Kilometern Küsten mehr als 11.000 Kilometer.
Tatsächlich belegen die italienischen Badeanstalten „nur2.143 Küs­ten­ki­lometer. Bei einer Küste von über 11.000 Kilometern wäre dies weniger als ein Fünftel, ein geradezu lächerlich kleiner Teil. Die unerfreuliche Geschichte mit dem Vertragsverletzungsverfahren wäre aus Sicht der italienischen Regierung damit vom Tisch.
Allerdings stellte sich heraus, dass in dem Bericht an die EU falsche Angaben gemacht und sogar Felsen und Hafengebiete mit in die Berechnungen eingeschlossen worden sind – um zu verhindern, dass Küstenstreifen als „knappes Gut“ angesehen werden.

Laut der Umweltschutzorganisation Legambiente ist die Situation also eine völlig andere. Unabhängig davon, ob die Küste nun 8.000 oder 11.000 Kilometer lang ist – es sei nicht sachgerecht, die gesamte Küstenlinie als Maßstab zu nehmen: Die Konzessionen für die "stabilimenti balneari" betreffen fast ausnahmslos Sandstrände, nicht für abgelegene, unwegsame Felsenküsten. Die Gesamtlänge aller Sandstrände in Italien beträgt aber lediglich 3.418 Kilometer. Davon belegen die „stabilimenti “ 63 %, obwohl laut einem italienischen Gesetz nur ein Maximum von 40 % erlaubt wäre.

So verstoßen die „stabilimenti balneari in ihrer heutigen Form und Zahl also nicht nur gegen EU-Recht, sondern auch gegen italienische Gesetze.

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Wie sieht die Situation heute also aus? Die Regionen ignorieren das Urteil ber Badekonzessionen. Von Venedig bis Sizilien bestimmen regionale Dekrete über die Vergabe der Konzessionen. Sizilien hat gleich für die gesamte Insel ein Dekret zur Verlängerung der Badekonzessionen an den Insel-Stränden erlassen und auch Kampanien hat ähnliche Maßnahmen ergriffen.

Freie Strände (Spiaggie libere)
Man kann im Prinzip auf freie Badestrand-Abschnitte ausweichen, sofern es welche gibt, diese sind aber meisten weder gepflegt noch irgendwie aus­ge­stat­tet. Liegen und Sonnen­schirme muss man sich dort dem entsprechend selbst mit­neh­men. Glück­li­cher­wei­se hat sich die Situation in den letzten Jahren etwas ver­bessert. Es gibt auch in Italien immer mehr mit Dusche und Um­klei­de­kabinen aus­ge­stattete freie Strände – die so genannten „spiagge libere attrezzate".
Außerdem wurde in einem der letzten Haus­halts­ge­set­zen unter dem Punkt „spiagge libere“ einer alten Forderung der Umwelt­verbände entgegen­ge­kom­men. Nach diesem darf der Geltungsbereich der all­ge­gen­wär­tigen (und kos­tenpflichtigen) stabilimenti nicht mehr direkt bis zum Wasser ge­hen. Strand­spaziergänge dürfen nach diesem Gesetz also nicht mehr durch die Abgren­zungs­zäune der Strandbäder behindert werden.
Ein fünf Metern breiter Streifen im Ufer­be­reich (battigia) muss demnach für alle frei zugänglich bleiben. Freilich darf man sich dort auch nicht mit eigenen Liegestühlen und Sonnen­schir­men nie­derlassen. Der Streifen muss – theo­re­tisch – frei bleiben. Die Be­trei­ber der „sta­bi­li­menti“ wurden darüber hinaus mit höheren Pacht- und Steu­er­sätzen belegt. Bis dato waren sie so gut wie steuerfrei. Die Eintritts­prei­se werden dadurch allerdings wieder einmal teurer.
Verwaiste Badeanstalt am Abend in Genua
Dass ein Badender von der spiaggia libera hinüber in ein stabilimento geht, um dort in der Bar etwas zu trinken, ist durchaus üblich. Niemand wird ihn fra­gen, von wo er kommt.
Nirgendwo sonst in Europa sind die Strände so streng reglementiert wie in Italien. Da kann es leicht passieren, dass man aus dem einen oder dem an­de­ren Grund ein Bußgeld zahlen muss, oder zumindest unangenehm auf­fällt.
Beispielsweise wird erwartet, dass sich die Ba­de­gäs­te ausschließlich in den dafür vor­ge­seh­enen Kabinen umziehen und nicht vor aller Augen. Auf den freien Stränden geht es dabei etwas lockerer zu. Oben ohne ist gerade noch erlaubt, aber bei weitem we­ni­ger verbreitet als in Frankreich, FKK ist strengs­tens ver­bo­ten. Wer es tut, tut es auf eigene (Straf­zet­tel-)Gefahr. Diese Re­gle­men­tie­rung gilt übrigens auch für die „freien" Strände.
Laut Gesetz ist es in Italien verboten, an einem öffentlichen Strand Plätze in Anspruch zu nehmen, die nicht genutzt werden. Es gilt das Prinzip: „Wer zu­erst kommt, mahlt zuerst“. So kam es dazu, dass ein italienischer Rentner mehr als 1000 Euro Strafe zahlen musste, weil er in Diano Marina (Ligurien) frühmorgens die besten Plätze an einem Strand mittels Strohmatten und Handtücher in Meeresnähe für sich reserviert hatte. Was im Widerspruch dazu steht, dass man in den „stabilimenti“ sehr wohl sich einen Platz (mit Liegestuhl und Sonnenschirm) reservieren kann (allerdings nicht direkt am Ufer) – vorausgesetzt, man hat dafür bezahlt.

Hunde am Strand
Seit 1991 gilt von Juni bis September ein ab­solutes Hundeverbot am Strand. Das gilt für öf­fent­li­che Strände wie für private (stabilimenti!). Hält man sich nicht daran und wird dabei (von der Küs­ten­wa­che oder der Polizei) erwischt, kann es saf­tige Stra­fen geben. Allerdings wird es seit 2002 den Kom­mu­nen überlassen, wie sie dies handhaben.
Inzwischen gibt es eine Reihe von (meistens mit Schildern ge­kenn­zeich­ne­ten) Strän­den, in denen das Mit­neh­men von Hunden er­laubt ist. An einigen dieser Strände stehen sogar Behälter mit Au­tomaten zur Ver­fügung, wo die Sets für die Ex­kre­men­te erhältlich sind. Um möglichen Pro­ble­men aus dem Wege zu gehen, sollte man aber immer die da­für vorgesehen Tüten mit Plas­tik­schaufeln mitführen.
An der Adriaküste von Bibione haben Hunde sogar ihren eigenen Strand, wo für die Vierbeiner sogar kleine Sonnenliegen und Fressnäpfe unter Sonnen­schirmen bereitstehen. Keine Frage, dass dies nicht kos­tenlos ist!
 
 
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Kalabrien, Basilikata
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Reiseführer von Peter Amann