Italienische Sprache

Italienisch - „politisch korrekt“
Euphemismen (Beschönigungswörter) gab es schon immer. Sie gelten haupt­sächlich den Tabus, dem Unaussprechbaren: zum Beispiel dem Aber­glau­be, nach dem allein das Aussprechen mancher „böser" Wörter, Unglück herauf­be­schwö­ren könnte. So sprach man bei Tuberkolose von „mal sottile“ (die sub­tile Krankheit) und wenn jemand starb, sagte man (und sagt heute noch) „si è spento“ (er ist verloschen), „è scomparso“ (er ist verschwunden) usw.
Besonders häufig macht(e) man im Bereich der Sexualität Gebrauch von Euphe­mismen. So nennt man eine Jungfrau „pura“ (rein) oder „illibata“ (un­be­schol­ten), oder man sagt, sie sei „come mamma l'ha fatta“ (wie sie Mut­ter gemacht hat). Eine Prostituierte wird hingegen zu „una di quelle“ (eine von diesen), zur „donna di facili costumi“ (Frau mit losen Sitten) oder eine „don­nina allegra“ (ein fröhliches Mädchen).
Die „politisch korrekte" Sprache, die in den angel­sächsischen Ländern ihren Ursprung hatte und längst auch in Italien angekommen ist, bedient sich zahl­reicher Euphemismen, die besonders anti­dis­kri­mi­nie­rend und sensibel gegen­über Minderheiten sein sollen. An der Evolution des Begriffs für eine Frau, die in einem fremden Haushalt arbeitet, lässt sich das beispielhaft aufzeigen: serva (Dienerin), cameriera (Zimmer­mäd­chen, ein Begriff, der noch für Kell­nerin benutzt wird), donna di servizio (Service-Frau), lavoratrice domestica (im Haushalt arbeitende Frau), colla­boratrice domestica (Haushaltmit­ar­bei­te­rin), collaboratrice familiare (Fami­lien­mit­arbeiterin, abgekürzt COLF).
Der Bereich, in dem die italienischen PC-Analysten (PC = Political Correct­ness) am aktivsten waren, ist jener der körperlichen oder geistigen Behin­de­rung. Wörter wie cieco (blind) und invalido (behindert) haben in der ita­lie­ni­schen Umgangssprache, neben der Haupt­be­deu­tung, auch eine negative Kon­notation. So steht „cieco“ auch für den, der unwillig zu kapieren ist, und „in­abile“ auch für unfähig. Im Folgenden einige Beispiele:
sordo (taub) audioleso (gehörgeschädigt), non udente (nicht hörend)
cieco (blind) non vedente (nicht sehend)

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handicappato (gehandicapt) inabile fisicamente (körperlich be­hin­dert), bzw. di­ver­sa­men­te abi­le (auf an­de­re Wei­se fä­hig) oder per­so­na con disa­bi­li­ (Per­son mit ein­ge­schränk­ten Fähigkeiten)
mongoloide (Mongoloid) (affetto da sindrome di Down) Down-Syndrom-Träger
invalido (invalide) non deambulante (nicht gehend)
povero (arm) economicamente sfavorito (finanziell benachteilt)
barbone (Clochard) i senza fissa dimora (die ohne festen Wohnsitz)
sordomuto (taubstumm) sordo preverbale (vorsprachlich taub)
paziente (Patient) assistito (Betreute)
Ein Zauberwort der neuen „politischen Korrektheit" ist „operatore“ (Ope­ra­teur, Fachmann). Schon seit langem wird der „Sozialarbeiter" „operatore so­ciale“ genannt, der Reiseveranstalter „operatore turistico“, der Börsenmakler „operatore di borsa„. Hinzu kommen nun - man weiß nicht, soll man lachen? - folgende Neologismen:
spazzino (Müllmann) operatore ecologico (ökologisch Handelnder)
bidello (Schuldiener, Pedell) operatore scolastico (Schulfachmann)
becchino (Leichenbestatter) operatore ecologico seppellitore (Öko­fach­man für das Begraben)
boscaiolo (Holzfäller) operatore forestale

Italienisch Lernen II - Paralleltext - Leichte Kurzgeschichten II Deutsch - Italienisch), Bilingual - Doppeltext
Italienisch Lernen II - Parallel­text - Leich­te Kurz­ge­schich­ten II Deutsch - Ita­lienisch Italienisch Schimpfen

venditore ambulante (Stra­ßen­händler) operatore mercantile su spazi e aree pubbli­che (Han­dels­ope­rateur auf öffentlichen Plät­zen)
contadino (Bauer) operatore agricolo
infermiere (Krankenpfleger) operatore sanitario (Operateur im Ge­sund­heitswesen)
Mehrere Sprach­wis­sen­schafler sind sich al­ler­dings da­­ber ei­nig, dass die ver­meint­lich „fort­schritt­li­che" po­li­tisch kor­rek­te Spra­che nichts an­de­res ist, als ein Ali­bi und ein Symp­tom für nicht ge­lös­te so­zia­le Pro­bleme in dem ent­spre­chen­den Land. Interessant ist beispielsweise, dass der Ente nazionale per la protezione e l’assistenza dei sordomuti (die italienische Vereinigung für den Schutz und die Betreuung der Taubstummen) sich gegen den Begriff „preverbale“ äußert. Denn sie hätten sehr wohl eine Sprache - die Zei­chen­sprache. Außerdem gehe es ihnen nicht um die Bezeichnung, sondern um die Achtung, die man ihnen entgegenbringt.
Rassistische Begriffe
Entgegen der Konnotation der englischen Begriffe „negro“ und „nigger“, die im angelsächsischen Raum eindeutig als nicht politisch korrekt gelten, gilt das italienische Wort „negro“ als politisch völlig korrekt. Dies ist jedenfalls der Schluss, den verschiedene Tageszeitungen, wie „L'Unità“, „La Repubblica“ und il „Corriere della Sera“ gezogen haben. De facto wird aber heute auch in Italien das "M-Wort" zumindestens als unfreundlich betrachtet.
Bemerkenswert ist auch ein Urteil des Kas­sa­tions­ge­richts, nach dem die Äu­ße­rung „sporco negro“ (dreckiger Neger), zwar als Belei­di­gung gilt, nicht aber zwangsläufig auch als rassistische Diskriminierung.
Verunglimpfende Begriffe wie „terrone“ (abwertendes Wort für Süditaliener, ähnlich unserem „Kanake“) oder „polentone“ (Polentafresser, für Nord­ita­lie­ner) kann man aus dem Sprachgebrauch kaum eliminieren, und für sie gibt es natürlich auch keine „politisch kor­rek­ten" neuen Wortschöpfungen.
Genderspezifische Begriffe
Die Commissione per la parità e per le pari opportunità (der Ausschuss für Gleich­stel­lung und Chancen­gleich­heit) empfiehlt unter an­derem, den Artikel vor Frauenfamiliennamen wegzulassen (also z.B. Loren statt „la Loren“, wie es in Italien üblich ist) – die deutsche Kanzlerin wird bei­spielsweise „la Merkel“ genannt –; das Wort signorina und signora wenn mö­glich durch die Berufsbezeichnung zu ersetzen; das Femininum bei Berufs­be­zeich­nung, Rang etc. zu verwenden, also la vigile (die Stadtpolizistin), la sin­daca (die Bürgermeisterin), aber nach Möglichkeit das Suffix -essa zu ver­meiden, weil es in vielen Fällen noch einen negativen Beiklang hat (avvo­ca­tessa, presidentessa).
Ins Groteske führen folgende vorgeschlagene Neologismen:
impotente (impotent) erezionalmente limitato (erektiv eingeschränkt)
barbone (Clochard) residenzialmente flessibile (flexibel wohnend)
basso di statura (kleinwüchsig) persona verticalmente svantaggiata (vertikal benachteilte Person)
calvizie (Kahlköpfigkeit) regressione follicolare (Haarfollikelregression)
carcerato (Gefangener) socialmente separato (gesellschaftlich geson­dert)
obeso (fettleibig) soggetto in stato di sovrappeso (Individuum im Über­ge­wichts­zustand)
Folgender Begriff ist sicher als Scherz zu verstehen:
obeso (fettleibig) diversamente magro (auf unterschiedliche Art schlank)
 
 
Italienisch für Anfänger und Fortgeschrittene: Italienisch lernen mit Kurzgeschichten (mit Audiodateien, deutscher Übersetzung & Verständnisfragen)